Was ich an RPG-Kampfsystemen einfach nicht leiden kann

Inb4 hättest ja ein Startbild aus nem RPG nehmen können. Nö.

Nach „sämtliche MMOs sind Scheiße“ folgt jetzt sogar: „alle RPGs sind Scheiße“. Nein, natürlich nicht, jedenfalls…nicht in jeder Hinsicht. Tatsächlich liebe ich Rollenspiele sogar, nur gibt es da einfach etwas, das viele Rollenspiele einfach nicht richtig machen können, und das ist das Kampfsystem. Diesem allein gilt meine Kritik, und auch wenn ich das nicht andauernd explizit ansprechen kann, hätte ich die meisten von mir genannten Spiele nicht gespielt, wenn mir nicht irgendetwas – sei es Story, Charaktere oder was auch immer – daran gefallen hätte. Behaltet das bitte im Hinterkopf, während ihr diesen Artikel liest.

Die Kritikpunkte, die ich habe, sind im Grunde vier Stück. Bevor ich aber diese Kritikpunkte abarbeite, möchte ich ein wenig Game Theory vorschieben, denn ich möchte nicht einfach Probleme in den Raum werfen und sagen: „Das ist schlecht“, mir liegt daran, dass jeder meine Argumentation nachvollziehen und selbst überprüfen kann, ob sie denn auch stimmt. Dafür ist es notwendig, zu verstehen, wie RPG-Kampfsysteme überhaupt funktionieren.

Das grundlegende Prinzip ist es ja, das wird euch noch etwas trivial vorkommen, die gegnerischen HP (manchmal auch KP) auf null zu setzen. Der simpelste Weg, das zu tun, ist natürlich der ganz normale Standardangriff. Im allersimpelsten Fall, das heißt wenn wir zwei Kämpfer haben, die wirklich nur diesen Standardangriff beherrschen, gewinnt immer der, welcher die größeren Statuswerte hat. Schauen wir uns das mal kurz an:

So spannend.

Bei einem so simplem Kampfsystem kann man das so oft wiederholen, wie man will, es wird immer genau auf das gleiche hinauslaufen. Typischerweise sind Kampfsysteme aber komplexer, und da gibt es mehrere Wege, wie man an diesem Ergebnis rütteln kann. Man könnte natürlich Leveln und seine Werte erhöhen, aber bleiben wir mal bei den Dingen, die man im Kampf tun kann. Da gibt es im Grunde drei Variablen, die das Kampfgeschehen beeinflussen können: Reaktionszeit, Taktik und Zufall.

Das Erste kommt nur in Actionbasierten RPGs zum Tragen, wenn man gegnerischen Angriffen ausweichen kann oder man durch schnellere Aktivierung der Skills dem Gegner zuvorkommen kann. Das Zweite hingegen ist eigentlich immer präsent, man kann durch Verwendung der richtigen Fähigkeiten oder Zauber sich einen Vorteil im Kampf verschaffen. Das Dritte ist leider ebenso allgegenwärtig und bereits mein erster Kritikpunkt.

Kennt ihr das, wenn ihr eigentlich alles richtig gemacht habt und dann tötet euch noch ein unwahrscheinlicher kritischer Treffer? Wenn eure Angriffe immer wieder danebengehen, ohne dass ihr etwas dagegen tun könntet? Habt ihr es schonmal erlebt, dass ein Gegner mit nur einem einzigen HP überlebt, einfach weil die Zufallsberechnung des Schadens es so wollte? Natürlich ist einem das Glück auch genauso oft hold, aber überlegt mal: Es handelt sich hier um eine Spielfunktion, die euch bestraft, obwohl ihr nichts falsch gemacht habt und euch an anderer Stelle belohnt, obwohl ihr es gar nicht verdient habt.

Sehr, sehr viele RPGs greifen in gewissem Maße auf Zufall zurück. Ganz kann man es auch selten umgehen, schließlich muss ja irgendetwas die Attacken des Gegners bestimmen. Ich habe auch nichts dagegen, wenn es in geringem Maße auftaucht, immerhin kann es auch manchmal ganz witzige Situationen hervorrufen, nicht aber darf Zufall die Hauptgewalt im Kampf haben, wie es zum Beispiel bei Earthbound ist, das eine gefühlte Fehlschlagquote von 70% hat und bei dem man auch lange Zeit ohne sinnvolle Skills auskommen muss. Ob man gewonnen hat oder nicht, hing wirklich hauptsächlich davon ab, ob der Gegner oft genug sinnlosen Unsinn angestellt hat, damit ihr ihn auch einmal treffen konntet.

Zu Earthbound hatte ich leider nur _gute_ Bilder. Deshalb kommt ein anderes hin.

Den Zufall wollen wir also nicht an die Seite unseres hilflosen Helden im Kampf gegen den Schleim stellen, also wie könnten wir das Kampfsystem sonst erweitern, um das Endergebnis zu beeinflussen? Man könnte die Angriffspalette erweitern. Eine weitere Fähigkeit muss gegenüber dem Standardangriff irgendeinen Mehrwert besitzen, sie könnte zum Beispiel ein „Wind Slash“ sein, der 5HP abzieht. Sie muss aber auch irgendeine Schwäche haben, denn sonst würde der Standardangriff ja keine Daseinsberechtigung mehr haben und man würde nur noch den Wind Slash benutzen. Man greift hier oft auf eine zweite Leiste zurück, die die MP/TP/SP darstellen oder auf Elementarschwächen etc. – RPGs sind da inzwischen schon ziemlich komplex geworden.

Wenn die einzige Interaktionsmöglichkeit des Spielers darin besteht, aus mehreren Angriffsmöglichkeiten eine auszuwählen, dann gibt es in der aktuellen Situation immer eine Entscheidung, welche besser ist als die anderen, es gibt eine „best possible action“. Die Aufgabe des Spielers in einem Taktik-basierten RPG ist es, diese zu finden. Das hängt von vielen Faktoren ab, welche spezifischen Schwächen der Gegner hat, wie viele MP man übrig hat oder ob vor dem nächsten Boss noch ein Gasthaus zum heilen ist.

Und hier liegt mein nächster Kritikpunkt, denn in vielen Spielen existiert dieser Mehrwert für viele Spezialangriffe einfach nicht. Insbesondere Statusveränderungen sind in den meisten Spielen wie auch Final Fantasy nur nutzloses Beiwerk. Warum den Gegner vergiften, wenn der Standardangriff doch mehr Schaden macht? Und ausgerechnet Bosse, bei denen Statusveränderungen tatsächlich sinnvoll wären, sind meistens gegen diese Immun. Besonders aufgeufert hatte dies in Final Fantasy XII, in dem die best possible action tatsächlich einfach nur die Wiederholung des Standardangriffs war.

Sieht gut aus. Ich hätte gerne ein Spiel davon.

Das trifft unter anderem auch auf die Pokemon-Reihe zu. Warum mit einem Heuler eine wertvolle Runde verschwenden, um den Angriff des Gegners zu senken, wenn der Gegner dadurch einmal mehr angreifen und somit mehr Schaden machen kann? Eben. Dieser Angriff existiert, aber er ist einfach vollkommen sinnlos. Eine Statussenkung macht im Prinzip nur in einem Falle Sinn: Wenn der Gegner ohne diese Statussenkung der eigenen Party überlegen ist. Unser Schleimbekämpfer könnte zum Beispiel gewinnen, würde er den Angriff des Schleims in der ersten Runde auf zwei reduzieren, probierts aus.

Nun kämpft man aber in einem üblichen RPG nicht nur einmal. Damit RPGs auch genügend Gameplay aufweisen, ist es einfach notwendig, dass es eine große Anzahl an Kämpfe gibt. Der Spieler begegnet diesen Gegnermassen aber in einer recht überschaubaren Party, man spielt also „some against many“. Die Gegner dürfen deswegen den Spielern nicht ebenbürtig sein wie im Gif oben, sonst hat man gegen den zweiten Schleim ja keine Chance mehr. Deshalb können Spieler heilen und die meisten Gegner nicht. Aber seht ihr, das sorgt eben dafür, dass die Statuswerte von Gegnern per se niedriger sind als die des Spielers und dadurch sind Statussekungen eigentlich schon per se unnötig.

In vielen Rollenspielen läuft dann am Ende leider doch alles darauf hinaus, dass die best possible action im guten, alten Standardangriff liegt. Die MP sind meistens viel besser im Heilen investiert, weil man sich dadurch die Items spart, weshalb man sich im Laden keine kaufen muss und das spart wiederum Geld, das man für eine stärkere Waffe ausgeben kann – die den Standardangriff stärker macht. Aber ich will nicht einfach nur alles schlecht reden, sondern auch Spiele nennen, die es besser machen: Xenoblade ist da ein sehr gutes Beispiel. In Xenoblade haben alle Attacken und Statusveränderungen ihre Daseinsberechtigung und machen auch Sinn, wenn sie vom Spieler eingesetzt werden.

Ein weiterer, jedoch eher kleinerer Kritikpunkt sind für mich die unüberschaubaren Schadensformeln. 326 Angriff durch/minus/reziprok 746 Verteidigung ergibt 3278 Schaden. Wie? Keine Ahnung. Aber es passiert. Wenn ihr mich fragt, ist das dem taktischen Aspekt nur im Weg, da man den Effekt eines Angriffs (wie auch die Anzahl Angriffe, die man noch zum Sieg braucht) schlecht abschätzen kann. Auch hier fällt mir ein Vertreter ein, der es besser kann und den man bei Rollenspielen sicher eher weniger im Blick hat: Paper Mario. Paper Mario hat ein sehr tolles und durchschaubares Kampfsystem und macht, wie die Mario&Luigi-Serie auch, ebenso guten Gebrauch von dem Reaktionsvariable. Warum kann Mario ein besseres Kampfsystem als Rollenspiel-Veteranen?

Jetzt will ich wieder Paper Mario 2 spielen T_T

Mein letzter Kritikpunkt ist aber noch gravierender. Es geht um einen so wichtigen Punkt, der doch bei so vielen Rollenspielen schrecklich vernachlässigt wird – man möchte fast meinen die Entwickler können es einfach nicht besser. Es ist die Balance. Ich will das ausführlicher erläutern. RPGs sind Spiele, die auf vielen Zahlen beruhen, die untereinander in korrektem Verhältnis stehen müssen. Die HP des Gegners müssen in so einer Relation zum Spieler-Angriff stehen, dass er nicht zu viele, aber auch nicht zu wenig Schläge aushält – sonst wird das Spiel entweder zu leicht oder zu schwer.

Das übliche Rollenspiel hat aber viel mehr solche Zahlen als unser Held vs. Schleim und sie sind alle miteinander verbunden. Da gibt es Verteidigung, die zu Angriff und HP stehen, die Erfahrung, die ein Gegner hinterlässt, muss in Verhältnis zu dessen Stärke stehen, und der Heilwert einer Potion in angemessenem Verhältnis zu dessen Kosten im Shop, der wiederum an den Gelddrops von Gegnern hängt und so weiter. Alles hängt irgendwie zusammen, und dabei entsteht so ein Wirrwar an Werten, dass man einfach nicht mehr durchsehen kann. In vielen Spielen hat man ab irgendeinem Punkt einfach so einen großen Geldwert angehäuft, dass einfach alles egal ist – das ist nicht nur auf RPGs beschränkt.

Warum ist diese Balance aber so wichtig? Wegen dem Schwierigkeitsgrad. Sehr viele Rollenspiele sind wegen schlechtem Balancing entweder unverschämt schwer oder unverschämt einfach (meistens eher letzteres, weil sich die Fans bei zu hohem Schwierigkeitsgrad eher aufregen als bei zu leichtem). Ich spiele Taktik-basierte RPGs oft wegen der Story, einfach weil das Kämpfen in den meisten Fällen uninteressant ist. Man muss sich einfach nicht anstrengen, um zu gewinnen, man muss nicht nachdenken. Eine gute Balance zu erreichen bei all den Werten ist schwer, das gebe ich zu, und deshalb sind RPGs mit solcher auch so selten.

Aber es gibt sie. Und einen dieser Titel möchte ich euch hiermit nahelegen: Etrian Odyssey. Etrian Odyssey (vornehmlich Teil drei) ist anspruchsvoll, aber dennoch fair. Ich habe selten ein Spiel mit einem so gelungenem Kampfsystem gesehen. Trotz einer sehr breiten Customisierung, was Skills und Werte angeht (man levelt sozusagen manuell) sind neue Gegner, nicht mal nur Bosse, immer eine Herausforderung. Und man hat nie genügend Geld, um sich sofort im Laden die beste Ausrüstung zu kaufen. Auch Statusveränderungen haben ihren Zweck und wirken auch auf Bossgegner – müssen sogar notwendigerweise auf sie angewandt werden. Vor allem im Endgame wird das Spiel richtig anspruchsvoll. Alle Werte sind eben perfekt aufeinander abgestimmt.

Was nicht heißen soll, dass das Spiel keine Makel hat, aber die liegen eben in anderen Dingen. Ein technisches Meisterwerk ist es zum Beispiel nicht gerade. Ich finde es aber eine Empfehlung wert, insbesondere, wenn ihr meinen Artikel nachvollziehen konntet und jetzt Lust auf ein RPG mit einem richtig tollen Kampfsystem habt.

Es ist auch ganz nett designed. Wenn es auch ein wenig kindlich aussieht.

Schaut euch das Bild ruhig in Fullpix an, wäre sonst schade um meinen Speicher.

2 Kommentare zu “Was ich an RPG-Kampfsystemen einfach nicht leiden kann

  1. […] habe schon an einigen Stellen das Kampfsystem des Spiels gelobt und mich sogar für ein eigenes Spiel zu großen Teilen von dem […]

  2. Kann allem nur zustimmen. Ich spiele RPGs nur wegern der Story und die Kämpfe die vermeide ich wenn möglich. Mir fehlt da einfach Komponenten wie Ausweichen und Reaktionszeit. Aber vor allem stört mich, die so häufig fehlende Balance. Und was mich am meisten stört ist der Zufallsfaktor.
    Ich glaube es war noch in absolut jedem rundenbasierten Rollenspiel so (ausgenommen die Kampfsystem wie in den älteren FFs oder vielen RPG-Maker-Spielen), dass man ständig verfehlt. Man steht einen Pixel vor dem Gegner, hält ihm die Schrotflinte auf den Oberkörper und verfehlt und zwar den gesamten Angriff, keine einzige Schrotkugel trifft das Ziel. Und das mehrmals hintereinander. Es ist absurd. Selbst wenn man alle Werte auf dem Minimum hat muss ich trotzdem den Gegner treffen, wenn ich vor ihm stehe. In Shadowrun geht es sogar so weit, dass ich, selbst mit maximalen Stats eine Verfehlquote von teilweise 33% habe. Das ist nicht nur zu hoch, das sollte gar nicht vorkommen. Trefferwahrscheinlichen schön und gut, aber sobald ein Gegner nah genug ist dann muss das Zufallssystem automatisch deaktiviert werden und jeder Treffer kommt an.

    Dann wiederum wird man durch Pech von gefühlt hundert Metern mit einer Schrotflinte in den Kopf getroffen und stirbt.

    Ich verstehs nicht und ich mag genau aus solcherlei Gründen RPGs nicht. Ein anderer Grund wäre, dass das das zahlenlastige Gameplay für sich allein betrachtet meist für die Tonne ist. Also in Punkto Gegnerischer KI, Angriffsmustern, Ausweichen, Blocken, Schleichen, verschiedene Angriffsoptionen (verschiedene Moves, verschiedene Positionen usw.

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